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Essay

Hat das „Europa der Region“ eine Chance als Utopie für die Zukunft Europas?

Kann es ein Europa ohne Nationalstaaten geben? Und was wäre die Alternative?

Der Weg nach Brüssel führt über Berlin. Unser Verhältnis zur Europäischen Union und zu Europa ist immer noch zutiefst national geprägt. Warum ist das so? Schließlich geht es in Brüssel doch gerade um Politik, die über rein nationale Interessen hinausgehen sollte.

Europa wird dann besonders sichtbar, wenn sich die Regierungschefs in Brüssel treffen. Sie sind die mächtigsten Akteure in Brüssel. Der Weg nach Brüssel führt also über Berlin. Der Einwand: die direkte Verbindung nach Brüssel geht über die Abgeordneten des Europaparlamentes. Sie sitzen in Straßburg beziehungsweise Brüssel. Nur ist diese Verbindung direkter? Die Kandidaten für das Europäische Parlament werden für jeden Mitgliedstaat getrennt aufgestellt und gewählt. Zudem bewerben sich die Abgeordneten bei uns immer noch als Mitglieder deutscher Parteien. Warum kann in Deutschland nicht auch ein französischer Abgeordneter für das Europaparlament gewählt werden? Wieder führt der Weg über deutsche Parteiorgane und insbesondere die Parteizentralen in Berlin.

Wenn wir also über die Zukunft Europas nachdenken, über unsere Mitgestaltung der europäischen Integration, dann landen wir also gezwungenermaßen direkt im Zentrum deutscher Politik in Berlin. Also erst der Staat und dann die Europäische Union. Kann ein Projekt wie die europäische Union so funktionieren? Sind Nationalstaaten in der unmittelbaren Zukunft wirklich in der Lage, Außen- zur Innenpolitik zu machen?

Vielleicht ist die Krise Europas ein Scheidepunkt, an dem wir uns entscheiden müssen. Wollen wir den Schritt zu einem geeinten Europa wagen, dann müssen wir den Nationalstaat hinter uns lassen. Halten wir an dem Nationalstaat fest, dann beenden wir das europäische Projekt. Die populistischen Bewegungen nehmen die Krise als Argument für die nationale Alternative. Schließlich zeige uns die Krise ja, dass das europäische Projekt nicht funktioniere. Nur ist die Krise Europas nicht vielmehr eine Krise der Nationalstaaten, Ausdruck ihrer Unfähigkeit, europäische Innenpolitik zu organisieren? Wir laufen Gefahr, Ursache mit Wirkung zu verwechseln.

Die Populisten haben ihre Entscheidung getroffen, der Nationalstaat zuerst, dann Europa, und auch nur wenn es dem nationalen Interesse dient. Ihre Überzeugungskraft liegt darin, dass wir das nationale Modell kennen. Die Europäer unter uns müssen hingegen von einem Wagnis, einen Schritt ins Ungewisse überzeugen. Visionäre haben es nun immer schwer. Aber ohne Vision kein Wagnis.

Eine konsequente Alternative zum Europa der Nationen ist ein Europa der Regionen. Der Nationalstaat würde schlicht abgeschafft. Das zentrale Organ wäre ein souveränes europäisches Parlament mit regionalen und europäischen Parteien. Regionale Parlamente würden subsidiär agieren. Die Europäische Kommission verlöre ihre Daseinsberechtigung. Zum einen würde dies das europäische Projekt stärken, würde es vielleicht erst ermöglichen. Zum anderen würde es aber auch unsere Verbindung zu den Regionen, in denen wir leben stärken, zu unserer Heimat, die auch im Nationalstaat zu kurz kommt. Der Nationalismus verlöre im Europa der Regionen schlichtweg seine Angriffsfläche.

Wie realistisch ist eine solche Vision? Die größte Hürde ist das Selbsterhaltungsinteresse der Nationalstaaten. Denn sie müssten sich selbst abschaffen. Bundestagsabgeordnete müssten somit ihre eigene Kündigung unterschreiben und die Politikeliten in Berlin sich selbst bedeutungslos machen. Somit sind die Institutionen, die das europäische Projekt einst auf den Weg gebracht haben, nun vielleicht verantwortlich für sein Scheitern.

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