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Das Haus neu aufbauen

Pater Bartolomeo Sorge S.J. in memoriam.

Wer von Europa spricht muss sich erklären. Was ist damit gemeint? Die Europäische Union und damit Debatten um Bürokratie und das Verhältnis verschiedener Nationalstaaten zueinander? Oder geht es um eine geographische Größe, deren Bestimmung weitere Diskussionen nach sich zieht? Wer auf die Tradition und Kultur verweist, verortet Europa meist in der Vergangenheit und die Frage nach der heutigen Relevanz stellt sich schnell ein. Wie also bei dem großen abstrakten Thema Europa ansetzen?

Der italienische Jesuit Bartolomeo Sorge hat das Bild eines Hauses verwendet. Dessen Fundament ist die Kultur, die Wände wiederum sind die Werte, welche die grundsätzliche Form des Gebäudes bestimmen. Die Gestaltung des Inneren ist aber ein fortlaufender Prozess, der als ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen zu verstehen sind. Dazu gehören auch Krisen, die größere Eingriffe sind.

Doch die aktuellen Krisen liegen auf einer anderen Ebene, die viel tiefgreifender ist, da das Fundament nicht mehr trägt. Ein Europa das letztlich nur auf industriellen Ideen beruht hat keine Zukunft. Es muss neu gegründet und neu aufgebaut werden.

Ausgehend von einem neuen Humanismus sind daher in einer Zeit der Globalisierung Werte aus einer Gemeinschaft zu entwickeln, die alle Menschen mit einbezieht und darum weiß, dass nur so auch den gemeinsamen Herausforderungen begegnet werden kann.

Das kann optimistisch oder sogar utopisch klingen, doch Bartolomeo Sorge konnte seine Überlegungen mit eigenen Erfahrungen verbinden. Zunächst beschäftigte er sich stärker theoretisch mit der Soziallehre und versuchte diese dann auch in die konkreten Entwicklungen politischer Strukturen in Italien und in Europa einzubringen. Enge Kontakte unterhielt er mit wichtigen gesellschaftlichen und kirchlichen Verantwortungsträgern.

Entscheidend waren die Jahre, die er in Palermo verbrachte (1986-1996), in denen er zu einem Protagonisten des sogenannten „Frühling von Palermo“ (primavera di Palermo) wurde. Durch die Gründung eines Zentrums für politische Bildung und die Zusammenarbeit mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, ging es entscheidend um die Formation einer großen Anti-Mafiabewegung.

Bartolomeo Sorge, der 1929 auf der Insel Elba geboren wurde, hat viele weltverändernde Ereignisse miterlebt. Neben Neuaufbrüchen stehen auch Enttäuschungen und Rückschläge, doch er blickte mit großem Optimismus in die Zukunft. Dieser beruht auf der Vernunft, durch welche der Mensch erkennen kann, dass ein nur um sich selbst kreisender Individualismus nicht weiterführt und daher die weltumspannende Gemeinschaft in all ihrer Pluralität wichtig sein wird.

Die Aufgabe besteht darin ein gemeinsames Haus aufzubauen, das vereint und zugleich der Vielfalt gerecht wird. Europa kann ein wichtiger Teil dieses gemeinsamen Projektes sein, dessen konkreten Gestaltung noch offen ist.

Der Kirche kommt dabei eine veränderte Rolle zu. Sie kann nicht mehr länger auf Privilegien zurückgreifen, sondern muss sich ganz von ihrer Aufgabe her verstehen. Im Bild des Hauses muss die Kirche den Zement liefern, sie muss Menschen miteinander verbinden.

Die Kirche kann zu einer neuen Gemeinschaft beitragen, weil Religion wesentlich zum Menschen gehört und die Suche nach Gott in allen Menschen angelegt ist. Bedeutend wird sie aber durch Begegnungen, in denen Menschen Zeugnis von dem geben, was sie selbst erfahren haben. Diese Gedanken hat Bartolomeo Sorge nicht nur theoretisch weitergegeben, sondern mit Energie, Freude und Herzlichkeit gelebt. Die Notwendigkeit und die Schwierigkeiten ein gemeinsames Haus neu aufzubauen, bleibt bestehen und uns allen kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Diese zu erkennen und umzusetzen, lebte Bartolomeo Sorge selbst auf beeindruckende Weise vor und entdeckte viele Zeichen der Hoffnung. Diese sind für die Zukunft zu nutzen, denn er war davon überzeugt: „Niemand kann die Geschichte aufhalten – aber sie kann gelenkt werden.“

Am Morgen des 2. November ist Bartolomeo Sorge in Gallarate, in einem Altenheim der Jesuiten, acht Tage nach seinem 91. Geburtstag gestorben.   

Zum Interview im Europäischen Archiv der Stimmen:

–> https://arbeitaneuropa.com/interviews/bartolomeo-sorge/

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